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Impuls zum 21. Januar 2024

Zum 3. Sonntag im Jahreskreis

Von Ferdinand Kerstiens (Marl), pax christi Münster

Umkehr ist möglich

Jonas 3,1-5.10; Mk 1,14,20
Die Geschichte von Jona ist bekannt: Er wird von Gott in die Stadt Ninive gesandt, um dort die Strafbotschaft zu verkünden: „Noch 40 Tage und Ninive wird zerstört!“ Aber Jona wollte erst nicht. Er wollte vor diesem Auftrag fliehen: Flucht per Schiff, ein schrecklicher Sturm, Jona bekennt sich, wird vom Schiff geworfen, ein Fisch verschlingt und rettet ihn, erneute Berufung. Dann geht er doch in die schreckliche Stadt und verkündet das Strafgericht Gottes. Jetzt wartet er auf die Vollstreckung des Strafurteils. Jetzt wird sich zeigen, wer der Herr ist! Aber da geschieht das Überraschende: Ninive bekehrt sich, Gott zieht seine Strafandrohung zurück und der Prophet ist ärgerlich: „Das missfiel Jona ganz und gar und er wurde zornig.“ (Jona 3,11) Diesen Satz lässt die Leseordnung allerdings weg. 

Was geht uns die alte Geschichte von Jona und Ninive an? Ninive ist doch eine Sache der Archäologen. Jona eine Figur aus vergangener Zeit. Doch das Überraschende: Als dieses Buch geschrieben wurde, war Ninive schon über 150 Jahre zerstört. Dem Autor ging es offenbar nicht um eine historische Erzählung, sondern um ein Gleichnis für seine Zeit. Ninive war der Inbegriff des Schreckens und der Sünde. Ninive wünschte man nur Schreckliches, am liebsten die Vernichtung. Es war das Zentrum der feindlichen Macht. Ausgerechnet dahin wird Jona geschickt. Verständlich seine anfängliche Weigerung, verständlich seine Angst!

Jona muss lernen: Gott ist der Gott aller, auch derer, die ich für Feinde halte, für meine Feinde und für die Feinde Gottes. Gott will nicht die Vernichtung von Menschen, auch nicht der Sünder, sondern ihre Umkehr, ihr Leben. Gott ist nie der Gott auf meiner Seite gegen die anderen. Gott ist größer, als dass er sich von mir vereinnahmen ließe. Auch Jona muss umkehren. Er muss lernen, dass die Gnade Gottes größer ist, als er es sich denkt und wünscht. Alle Menschen sind auf die Vergebung Gottes angewiesen, auch Jona selbst. Keiner ist vom Ruf zur Umkehr ausgenommen: Ninive nicht, Jerusalem nicht, auch Jona selbst nicht. 

Das Böse, die Bösen auslöschen! Unter dieser Überschrift könnte man die Geschichte der Kriege, der Unterdrückung und der Gewalt schreiben. Jeweils der andere ist Inbegriff von „Ninive“. Denen die Umkehr predigen? Mit denen verhandeln? „Wir“ sind immer die Guten, die anderen müssen von ihrem bösen Tun ablassen, „wir“ müssen uns gegen sie wehren!

Die christlichen Kirchen haben da kein Recht, mit den Fingern auf andere zu zeigen. Sie sind in ihrer Geschichte oft der Schwarz-Weiß-Malerei verfallen. Ketzerverfolgungen, „Heilige“ Inquisition, Konfessionskriege, gegenseitige Verdächtigungen, der Kampf gegen „den“ Kommunismus haben oft zur Rechtfertigung von Gewalt und Krieg geführt und tun es bis heute. Der religiöse Fundamentalismus in vielen Religionen schürt vielfach die gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen und rechtfertigt die Gewalt. Die Schwarz-Weiß-Malerei beginnt dabei schon im Denken. Wenn ich mich im Besitz der Wahrheit wähne und ich von den anderen Bekehrung verlange, aber meine, ich selber hätte das nicht nötig, dann bin ich schon der Verteufelung des anderen verfallen. Das gilt individuell, religiös, gesellschaftlich und politisch.

Das setzt sich fort in Auseinandersetzungen zwischen den Parteien und Gruppen, zwischen der Mehrheit der Bevölkerung und den Minderheiten. Manchmal werden Fußballspiele zu Konfessionskriegen zwischen den Anhängern. Der Rechtsradikalismus in seinen verschiedenen Formen führt zur Gewalt oder zumindest zur geheimen Billigung der Gewalt, die andere ausüben. Gleiches gilt von der Fremdenfeindlichkeit, wo der Fremde von vornherein der Verdächtige ist, der eigentlich hier nicht hingehört, und an vielen anderen Stellen unserer Gesellschaft. Der unsinnige Antisemitismus taucht immer wieder gefährlich auf. Auch im persönlichen Leben lassen sich die Spuren verfolgen. Manche Formen der Auseinandersetzung in Familien, am Arbeitsplatz (Mobbing), manche Vorurteile anderen gegenüber zeigen das gleiche Schema: Ich bin im Recht und der/die andere/n sind im Unrecht.

Das alles ist nicht gegen nötige Auseinandersetzungen um die besseren Wege in die Zukunft gesagt. Das gilt für alle genannten Problemfelder. Doch diese Auseinandersetzungen dürfen nicht zur Verteufelung des Gegners führen. Denn diese Verteufelung führt zur Rechtfertigung aller eigenen Gewalt, für die dann kein Maß mehr gibt. 

Jona musste lernen, dass Gott auch das Leben der anderen will. Dieser Ruf gilt für alle, auch für uns: Jesus im heutigen Evangelium beginnt damit sein öffentliches Auftreten: „Kehret um und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15), an die frohe Botschaft, dass Gott alle Menschen liebt, meine Feinde, alle, die ich für Sünder halte, meine Freunde und mich selbst. Wenn ihr so lebt und handelt, sagt Jesus, dann kann etwas vom Reich Gottes und seiner Nähe schon erfahrbar werden. Er ruft die ersten Jünger, sie sollen „Menschenfischer“ werden. Ein missverständliches Bild. Sie sollen Menschen werben für die frohe Botschaft von Gottes Reich, von seiner Gerechtigkeit für alle gleichermaßen, die nicht verurteilen will, sondern zum Leben bekehren, zur Liebe, zum Schalom, zum umfassenden Frieden.

Das führt dazu, dass alle, die diesem Jesus folgen wollen, zwischen die Fronten geraten. Militärisch geht es nur um Sieg oder Niederlage, nicht um eine gemeinsame Zukunft, nicht um Frieden. Am Ende sind beide Seiten die Verlierer. Mich erschreckt, wie angesichts der Kriege in der Ukraine und in Israel/Palästina das Sicherheitsdenken immer mehr rein militärisch verengt wird. Wir sollen „kriegstüchtig“ werden, kriegstüchtig in Gedanken, Worten und Werken. Zum Krieg gehört das Feindbild, gehört Ninive, das zerstört werden muss, weil es sich nicht bekehren will. 

Doch wir müssen zuerst fragen, wie wir „friedenstüchtig“ werden auch in Gedanken, Worten und Werken, sonst verpassen wir die Möglichkeiten zu Verständigung und Frieden. Sicher gehört als erstes dazu, dass ich zunächst mich selbst frage, als Einzelner, aber auch als Staat, als Bündnis, wo ich mich verhärtet habe, wo ich an dem Unfrieden beteiligt bin, wo ich mich ändern muss, und dann frage, warum der andere gegen mich ist, welche Angst er vor mir hat. Wie kann ich ihm seine Angst nehmen? Umkehr, Verständigung kann nur gelingen, wenn auch mein „Gegner“ erkennen kann, dass er mit mir eine gemeinsame Zukunft haben kann, dass er Platz haben kann neben mir, dass es gegenseitigen Respekt gibt, der auch den anderen anders sein lässt. 

Zwischen die Fronten geraten: So erging es Jesus. So erleben es vielfach die Friedensgruppen auf beiden Seiten der unheilvollen gegenseitigen Machtkämpfe und Kriege unserer Zeit, Sie kämpfen für eine gewaltfreie Lösung der anstehenden Probleme, werden dazwischen zerrieben. Gott sei Dank gibt es sie! Da wäre der Platz für die christlichen Kirchen heute. Im heutigen Evangelium heißt es am Schluss von den ersten berufenen Jüngern: Sie verließen alles und “folgten Jesus nach“.

Alle müssen sich bekehren und Gerechtigkeit für alle suchen, damit dann Frieden und Sicherheit wachsen können. Ninive und Jerusalem, Russland und die Ukraine, Israel und Palästina, West und Ost, Nord und Süd könnten dann eine gemeinsame Zukunft haben in unserer Einen Welt.  Dieses Bewusstsein der Bekehrungsbedürftigkeit aller gehört zu den Voraussetzungen von Gerechtigkeit und Frieden. Da können uns Jona und Jesus Lehrmeister sein. 

„Wir alle leben in dunklen Tagen, und sie überschatten uns alle. Das Ausmaß von Tod, Trauer und der Angst übersteigt das, was viele von uns bewältigen können. Und wir wissen einfach nicht, was die Zukunft bringen wird. Wir halten zusammen und passen uns an diese neue Realität an, die niemand von uns hat kommen sehen. Wir beweisen, dass eine palästinensisch-israelische Zusammenarbeit nicht nur möglich ist, sondern auch das Potenzial hat, andere zu inspirieren und voranzugehen, wo andere versagen.“ 
Combatants for Peace im Dezember 2023.

Die Combatants for Peace sind Menschen aus Palästina und Israel, die vormals Teil der bewaffneten Auseinandersetzung waren und dem bewaffneten Kampf abgeschworen und sich der Gewaltfreiheit verpflichtet haben. (Forum Ziviler Friedensdienst)

Im Gebet solidarisieren wir uns vor Gott mit allen, die zwischen den Fronten Wege zu Verständigung und Frieden suchen, die schon das Miteinander leben. Da wird schon etwas von der Nähe des Reiches Gottes spürbar. Wir beten für die Mächtigen, dass auch sie Wege zum Miteinander suchen und finden. Das wird nicht so einfach sein wie in der Jona-Geschichte, aber Frieden muss von unten wachsen.

Unbegreiflicher Gott,
man könnte verzweifeln 
angesichts der Gewalt in unserer Welt,
angesichts der Gewalt in deiner Welt.
Was soll da ein ohnmächtiges Gebet?

Doch es gibt auch viele Menschen,
die sich für gewaltfreie Lösungen einsetzen.
Oft werden sie von der eigenen Seite 
als dumm, illusionär oder sogar als gefährlich verdächtigt
und zwischen den Fronten zerrieben.

Wir verbinden uns mit ihnen vor dir.
Stärke diese Menschen in ihrem Engagement!
Gib ihnen Kraft und Geduld.
Unterstütze ihren Bekehrungsruf an die Mächtigen,
schaff ihrer Stimme Gehör! 
Und lass die Mächtigen auf allen Seiten erkennen,
dass sie nur miteinander eine gute Zukunft haben.

Lass alle christlichen Kirchen den Ruf Jonas 
und den Bekehrungsruf Jesu glaubwürdig weitergeben,
damit Vergebung, Versöhnung und Frieden möglich werden.
Du hast uns Hoffnung gegeben: Das Reich Gottes ist nahe. 
Lass uns darauf vertrauen und dir folgen.
So bitten wir mit unserem Bruder Jesus,
der mit dir lebt und wirkt für alle Zeit. 
Amen